Die kräftige Hündin, ein Mix mit Genen von vermutlich Bulldogge, Pitbull Terrier und American Staffordshire Terrier, scheiterte bei der Prüfung. Der Halterin wurde empfohlen, sich mit dem noch jungen Tier einem Hundetrainer anzuvertrauen, damit die Hündin besser mit anderen Hunden auskommt, Foto: Kreis Gütersloh, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen
Vierbeiner bei der Verhaltenspruefung
Die kräftige braune Hündin ist verschmust. Sie würde in dem kleinen Büro der jungen, fremden Frau, die sich zu ihr herunterbeugt auch durchs Gesicht lecken, wenn diese das zuließe. Nicht jeder Mensch würde sich zu ihr beugen. Zirka 40 Kilogramm, stämmig, rund 60 Zentimeter Schulterhöhe und ganz offensichtlich Gene von Pitbull Terrier und American Staffordshire Terrier, aber auch ein wenig Bulldogge. »Als Welpen sind die niedlich und dann kommt so eine Maschine da raus«, meint Dr. Georg Pass und breitet zur Andeutung die Arme aus. Als Boxer-Labrador-Mischlinge waren die Welpen verkauft worden … was genau alles in diesem Kraftpaket zusammen kommt, kann auch der Experte Ulf Helming nicht genau sagen. Er bestimmt an diesem Tag nicht nur die Rassezugehörigkeit der braunen Hündin – beziehungsweise grenzt diese ein, soweit das bei einem Mischling möglich ist. Zusammen mit Dr. Pass von der Abteilung Veterinär- und Lebensmittelüberwachung des Kreises Gütersloh macht er mit ihr auch eine Verhaltensprüfung – so wie bei vielen weiteren anderen vierbeinigen Kandidaten an diesem Tag auch.
Das Landeshundegesetz führt Halter und ihre Tiere an zwei bis drei Terminen im Jahr in die Ostwestfalenhalle in Kaunitz. Dort nehmen drei Hundeexperten wetterunabhängig Hunde in Augenschein – aber auch die Menschen am anderen Ende der Leine. Helming ist Hundetrainer, studierter Biologe, Schafzüchter, Wolfsberater des Schafzuchtverbands – die Aufzählung ließe sich noch fortsetzen. Mit Hunden kennt er sich jedenfalls aus. Es ist sein Konzept, auf dem die Regie der Verhaltensprüfung für Hunde basiert. Und auch der zweite Teil – die phänotypische Beurteilung gemäß Landeshundegesetz basiert auf seiner Systematik. Dabei wird der Hund bestimmten Rassebildern zugeordnet. »Das Gebiss und auch die Ohren passen nicht zum Pitbull«, erklärt Helming. »Sehr, sehr schwer«, meint er und geht dann nach dem Ausschlussprinzip vor. »Können wir ausschließen, dass Hunde von der Liste der gefährlichen Hunde nicht mit drin sind?« Die Frage ist eher rhetorischer Natur. Das braune Kraftpaket kommt also aufgrund der Rassemerkmale, die Helming beschreiben kann, zur Gruppe der ‚gefährlichen Hunde‘. Die Besitzerin will gleich anschließend mit ihrer Hündin die Verhaltensprüfung machen. Helming: »Wenn es gut läuft, kriegt die Hündin eine Maulkorbbefreiung.« Ob Leinenzwang besteht, hängt vom Ordnungsamt der jeweiligen Kommune ab. Die Verhaltensprüfung hätte sie fast geschafft, es gab nur einen Knackpunkt. Beim Test ‚Konfrontation mit anderen Hunden‘ scheitert sie. Helmings jungem Labrador, dessen Verhalten gegenüber anderen Hunden schon fast an Desinteresse grenzt, wäre die braune Hündin wohl an die Gurgel gegangen, wenn sie gekonnt hätte.
»Wir haben wohl schon tausende Hunde getestet«, meint Helming, der mit seinem Konzept auch in Minden-Lübbecke und Paderborn arbeitet. Der beste Freund des Menschen, von dem es über 25.000 im Kreis gibt, ist nicht immer der beste Freund des Nachbarn, des Postboten und des Joggers … Herr über das ganze Verfahren ist das jeweilige Ordnungsamt. Die meisten Vierbeiner, die heute in der Ostwestfalenhalle antreten, wurden von ihnen nach Beißvorfällen als gefährlich eingestuft. Das bedeutet in der Regel kurze Leine und Maulkorb in der Öffentlichkeit. Wehren sich die Hundebesitzer gegen diese Einstufung, dann müssen sie zum Verhaltenstest bei Helming und Dr. Pass. Bestehen sie diesen, empfehlen der Hundetrainer und der Tierarzt dem Ordnungsamt, die Einordnung zurückzunehmen. »Was soll ich machen?«, sagt Helming irgendwann im Laufe des Vormittags und hebt die Schultern. »Es gibt auch Tage, an denen bestehen die Hunde reihenweise die Prüfung.« Heute nicht: Es geht los mit einem weißen kanadischen Schäferhund, der den Jogger und den Kickroller-Fahrer – dargestellt von Helmings Mitarbeiter Fred Haase – wohl gepackt hätte, wäre nicht der Hund im Drahtkäfig. Helming erprobt mit den Hunden und Herrchen verschiedene Alltagssituationen: Wie reagiert er angebunden vor dem Geschäft auf vorbeigehende Menschen? Und wie, wenn die einen Regenschirm aufspannen? Wie auf den Jogger? Und wie auf fremde Hunde? Helming arbeitet alle Punkte ab. »Wir haben auch schon mal beim Vorgespräch abgebrochen, als ein Rottweiler sein Herrchen an die Wand stellte.«
»Wir sind Anwalt der Öffentlichkeit: Keine Gefährdung durch Hunde ist das Ziel, der Sinn dieser Verhaltensprüfung.« Angesichts dieses Ziels könnte man denken, die betagte Bordercollie-Mischlingshündin und ihr Herrchen hätten sich verlaufen. Die zwölfjährige Hündin hat einen Nachbarshund gebissen. Der hatte sie nach Aussage des Herrchens, dem das irgendwie peinlich ist, hier zur Prüfung antreten zu müssen, zuvor provoziert. Dr. Pass schaut leicht resigniert: »Dafür ist das Landeshundegesetz nicht gemacht worden!« Die alte Hundedame schaut während der meisten Übungen leicht erstaunt bis ängstlich, knurrt ein einziges Mal und absolviert den Test mit Leichtigkeit. Nein, von diesem Hund geht nun wirklich keine Gefahr aus. Für Dr. Pass war es seine letzte Prüfung vor dem Ruhestand. Der Tag war noch mal ein typischer: »Von Beißer bis Friedensnobelpreisträger war alles dabei.«
»Nirgendwo ist die Wahrnehmung unterschiedlicher als bei Hundebesitzern«, meint Dr. Pass und meint damit Eigen- und Fremdwahrnehmung. »Der beißt nicht, der will nur spielen …«, ist so ein häufig gehörter Ausspruch, der das beschreibt. Immerhin: An diesem Tag sind die meisten Halter sehr verständnisvoll, so wie die Besitzerin des weißen Schäferhunds: »So weiß ich wenigstens, wie er reagiert.«