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Vogel-Interview mit der »Rheinischen Post«: Es geht um eine Aenderung des Politikmodus

Der Generalsekretär der FDP Nordrhein-Westfalaen und stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende, Johannes Vogel, gab der »Rheinischen Post« beziehugnsweise »RP Online« das folgende Interview.

Die Fragen stellten Kirsten Bialdiga und Maximilian Plück.

Frage: Herr Vogel, die öffentlichen Kassen sind leer, allein Klimaschutz und Digitalisierung werden viel Geld kosten. Warum will die FDP dennoch ausgerechnet Besserverdienende steuerlich entlasten?

Vogel: Wir wollen alle Bürgerinnen und Bürger steuerlich entlasten, insbesondere die mit kleinen und mittleren Einkommen – keine andere Partei will diese Gruppe stärker entlasten. Diesen Effekt unseres Wahlprogramms hat das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) neulich bestätigt.

Frage: Was ist aus Ihrer Sicht ein kleines, was ein mittleres Einkommen?

Vogel: Die IW-Studie bezieht sich auf Einkommen unter 50.000 Euro.

Frage: Andere Wirtschaftsforscher ermittelten, dass die FDP-Pläne vor allem Besserverdienende entlasten...

Vogel: Sie meinen das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW)? Da werden Äpfel und Birnen verglichen – denn dort werden zum Beispiel neben der Steuerpolitik sehr selektiv bei manchen Parteien auch geplante Sozialausgaben eingerechnet – unser liberales Bürgergeld wird aber zum Beispiel nicht mit betrachtet. Unsere sozialpolitischen Vorschläge gehen ja auch viel weiter: In der Rentenpolitik wollen wir die gesetzliche Rente stärken und als zweites Standbein eine gesetzliche Aktienrente aufbauen wie in Schweden. Davon profitieren gerade Geringverdiener.

Frage: Wie wollen Sie die Renten der Kleinanleger vor Kursverlusten schützen?

Vogel: Unser Modell sieht vor, dass in den Jahren kurz vor dem Renteneintritt in risikoärmere Anlagen umgeschichtet wird. In Schweden funktioniert das schon seit Langem ohne Probleme. Wer jünger ist und einen langfristigen Anlagehorizont hat, muss ohnehin nichts befürchten: Die kurzfristigen Schwankungen an den Aktienmärkten fallen dann kaum ins Gewicht, die langfristigen Rendite-Erwartungen dafür umso mehr. Deshalb begrüßen unser Modell auch die Verbraucherzentralen. Die Statistiken zeigen: Wenn man länger als 15 Jahre investiert hat, gibt es keinen einzigen Betrachtungszeitraum in der Vergangenheit, in dem man mit global gestreuten Unternehmensbeteiligungen Verluste gemacht hat. Klar ist zudem: Angesichts der demografischen Entwicklung ist Nichtstun keine Option. Nichts wäre risikoreicher, als die Rentenpolitik von Union und SPD zu verlängern.

Frage: Dass auch der Klimawandel eine soziale Frage ist, zeigt das Hochwasser. Welche Lehren ziehen Sie aus dieser Katastrophe?

Vogel: Es sah dort teilweise aus wie nach einem Krieg. Ich habe geholfen, aufzuräumen, auch Bekannte der Familie meiner Frau waren betroffen. Wir müssen jetzt dringend den Katastrophenschutz reformieren, es muss zum Beispiel wieder regelmäßige Übungen geben. Auch das Warnsystem muss modernisiert werden – wir fordern schon lange Cell Broadcasting, also Warnungen auf alle Handys, die in der betroffenen Region in eine Funkzelle eingeloggt sind. Die Flutkatastrophe war ein Weckruf: Dem Letzten muss klar sein, dass beim Klimaschutz keine Zeit mehr zu verlieren ist – weil der Klimawandel auch die Wahrscheinlichkeit solcher Ereignisse steigert.

Frage: Auch die so genannte Entfesselungspolitik der CDU/FDP-Landesregierung hat dazu beigetragen, dass etwa der Flächenverbrauch in Nordrhein-Westfalen erleichtert wird, obwohl Wasser in versiegelten Böden nicht so gut abfließen kann. Werden Sie das Gesetz zurücknehmen?

Vogel: Die Entfesselungspolitik, die Bürokratie in ganz vielen Bereichen abbaut, führt vor allem dazu, dass Unternehmen schneller investieren können – wir brauchen technische Innovationen und Unternehmertum doch gerade, um unser Leben zu dekarbonisieren. Zum Beispiel eine Beschleunigung beim Planungsrecht, damit BASF durch Wasserstoff sein Chemiewerk klimaneutral machen kann, schneller Stromleitungen für die enormen Windenergiepotenziale vor der Küste gebaut werden können und eine unterstützende Politik im sonnenreichen Südeuropa und Nordafrika, damit auch dort Wasserstoff für die ganze Welt produziert werden kann.

Frage: Sind Sie beim Thema Flächenverbrauch zu weit gegangen?

Vogel: Weder ist Nordrhein-Westfalen von heute auf morgen komplett zugebaut worden, noch sollten wir vergessen, dass wir Flächen zum Beispiel für den Neubau von bezahlbarem Wohnraum brauchen, auch das ist eine soziale Frage. Was wir tun müssen, ist etwas anderes: Ganz konkret den Hochwasserschutz verbessern: Sind Abwassersysteme robust genug? Haben alle Flüsse und Zuflüsse genug Ausweichgebiete, gibt es genug Sickerflächen? Wo und wie kann in Hochwassergebieten sicher gebaut werden. Das müssen wir überprüfen.

Frage: Was indes als Hochwassergebiet zu gelten hat, scheint angesichts des Klimawandels recht unsicher...

Vogel: Ja, wir müssen auch überprüfen, ob die Annahmen für Hochwasserregionen noch passen.

Frage: Wie die Grünen will auch die FDP Kohlendioxyd teurer machen. Wie wollen die Liberalen dann soziale Härten ausgleichen?

Vogel: Moment – wir sind uns zwar einig, dass Kohlendioxyd einen Preis braucht. Die Grünen wollen aber eine Kohlendioxydsteuer, wir ein Kohlendioxydlimit mit Zertifikatehandel. Ich bin von unserem Modell überzeugt, denn welche Steuer hat je zum Komplettwegfall des besteuerten Guts geführt? Zudem ist der Zertifikatehandel das einzige Klimaschutzinstrument, das heute schon seine Ziele übertrifft – deswegen müssen wir dieses auf alle Lebensbereiche ausdehnen und so einen dichten Deckel für Kohlendioxyd schaffen. Die Ausgabe der Zertifikate bringt dem Staat Einnahmen. Wir wollen einen Teil davon nehmen, um die EEG-Umlage und die Stromsteuer abzuschaffen. So wird sauberer Strom billiger. Der andere Teil soll als Klimadividende pro Kopf ausgezahlt werden – alle erhalten den gleichen Betrag. So wird stärker belastet, wer überdurchschnittlich Kohlendioxyd verbraucht. Das sind nach Studien die, die auch überdurchschnittlich verdienen. Das ist dem Modell des Grünen Energiegeldes sehr ähnlich.

Frage: Gibt es noch mehr Gemeinsamkeiten mit den »Grünen«?

Vogel: Schnittmengen suchen wir nach der Wahl, jetzt werben wir für unsere Ideen, wie andere auch. Und sagen wir mal so: Ich finde alle drei Kandidierenden für das Kanzleramt nicht besonders inspirierend. In Nordrhein-Westaflen regieren wir sehr gut zusammen mit der CDU – das ist ja bekannt. Entscheidend ist aber eine möglichst starke FDP, um die nächste Regierung zu prägen, dafür werbe ich. Denn es geht um eine Änderung des Politikmodus. Wir brauchen endlich mutige konzeptionelle Antworten für die vier Megatrends – Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung und den außenpolitischen Systemwettbewerb mit China. Nach aktuellen Umfragen hat »Rot-Rot-Grün« eine Mehrheit im Bundestag, vor kurzem gab es die auch noch für »Schwarz-Grün«. Beides wollen wir verhindern, sodass es mindestens für die Verhandlung einer Deutschland- oder – wahrscheinlicher – einer Jamaika-Koalition reicht.

Frage: Wen mögen Sie mehr – »Grüne« oder SPD?

Vogel: Ich mag die Freien Demokraten. An anderen Parteien interessieren mich mögliche gemeinsame Projekte. In den wichtigen bundespolitischen Fragen der Renten-, Steuer- und Wirtschaftspolitik sind die Unterschiede zu Sozialdemokraten wie Grünen groß. Die wollen die Rentenpolitik der großen Koalition fortsetzen und im Hochsteuerland Deutschland allen Ernstes die Steuern erhöhen, statt für den Aufschwung zu entlasten. Bei der SPD kommt noch die Außenpolitik dazu, die waren ja zuletzt nicht mal bereit, die Bundeswehr mit Drohnen auszustatten. Grüne und FDP haben hingegen zuletzt massiv gemeinsam darauf gepocht, die Ortskräfte rechtzeitig aus Afghanistan zu holen. Aber es gibt auch da viele Unterschiede: Die »Grünen« wollen zum Beispiel kein Ceta-Freihandelsabkommen mit Kanada. Dabei hat doch das Beispiel von Biontech und Pfizer gezeigt, wie sinnvoll es ist, stärker international zu kooperieren. Eins ist völlig klar: Wir gehen nur dann in eine Regierung, wenn die liberale Handschrift klar erkennbar ist. Das haben wir 2017 bewiesen.

Frage: Auch in der Coronapolitik konnten die Unterschiede zu den Grünen doch größer kaum sein …

Vogel: Dass Geimpfte, Genesene und Getestete ihre Bürgerrechte in Nordrhein-Westfalen wieder weitgehend ausüben können, ist absolut richtig. Trotzdem müssen wir die Impfkampagne noch stärker vorantreiben, gerade bei Jüngeren. Da wünsche ich mir viel mehr Ehrgeiz und Kreativität der Bundesregierung. Wir brauchen außerdem dringend einen bundesweit einheitlichen Betrachtungsmaßstab, der an die Stelle der Inzidenz tritt. Es war eine große Enttäuschung, dass die jüngste Ministerpräsidentenkonferenz hierzu nichts vorlegen konnte.

Frage: Bereiten Ihnen die steigenden Infektionszahlen Sorgen?

Vogel: Ja. Ich nehme das Virus sehr ernst. Wir sehen zum Glück eine Entkoppelung von Inzidenzen und schweren Verläufen. Aber wir müssen Impfdurchbrüche und die Entwicklung auf den Intensivstationen natürlich genau beobachten.

Frage: In Nordrhein-Westfalen gilt jetzt so gut wie gar kein verbindlicher Maßstab mehr. Schülern genügt neuerdings ein einfacher Schülerausweis, der als Testnachweis gültig ist. Ist das zu leichtsinnig?

Vogel: Kinder und Jugendliche haben einen enormen Beitrag für uns alle geleistet und in prägenden Lebensjahren Opfer gebracht. Ich halte das für einen pragmatischen Weg, eine regelmäßige Testung zu belegen. Denn an Pragmatismus hat es leider in der Pandemie viel zu oft gemangelt.

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